- Mehr Geld für die Infrastruktur
- Krisenherde WSV und DB
- Drahtseilakt Autobahngesellschaft
- Wunschkonzert mit Misstönen
- Leitplanken für automatisierte Autos
- Der große Zauderer
- Aufschlag für die Schiene in letzter Minute
- Finale mit dem Dieselskandal
„Schutzpatron der Trickser und Täuscher“? Oder Vater eines in der Geschichte einmaligen Investitionshochlaufs? Die Bewertungen der Amtszeit von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gehen weiter auseinander als bei allen Vorgängern. „Ein“ Urteil über seine Amtszeit zu fällen würde ihm nicht gerecht werden.
Mehr Geld für die Infrastruktur
Auf der Haben-Seite ist unstrittig der „Investitionshochlauf“ für die Bundesverkehrswege zu verbuchen. Von rund 10 Mrd. EUR/Jahr werden die Investitionsmittel im kommenden Jahr auf rund 14 Mrd. EUR steigen. Nur zur Erinnerung: Der Koalitionsvertrag hatte insgesamt 5 Mrd. EUR über vier Jahre vorgesehen. Selbst um diesen Betrag hatten die Verkehrspolitiker kämpfen müssen. In die Hände gespielt hat Dobrindt sicher die Erkenntnis, dass die Leverkusener Rheinbrücke nicht die einzige marode Infrastruktur ist. „Leverkusen“ machte auch für Nichtexperten sichtbar, in welchem Maße inzwischen marode Infrastruktur den wirtschaftlichen Wohlstand gefährdet.
Auf der Haben-Seite steht auch das offenbar gute persönliche Verhältnis zu Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. So konnte die Finanzlücke, die das Wegekostengutachten für die Lkw-Maut 2013/2014 verursacht hatte, erstaunlich geräuschlos geschlossen werden. Dobrindt gelang es, immerhin 1,3 Mrd. EUR aus dem allgemeinen Bundeshaushalt loszueisen. Die restlichen 700 Mrd. EUR holte er durch „Ausweitung und Vertiefung“ der Lkw-Maut wieder herein.
Nicht vergessen werden sollte dabei, dass auch die Schiene vom guten Draht ins Finanzministerium profitiert hat: Als das „Zukunftsinvestitionsprogramm“ aufgelegt wurde, fiel immerhin eine Milliarde für Investitionen in die Eisenbahn ab.
Krisenherde WSV und DB
Weniger Erfolg hatte er dabei, die Planungskapazitäten synchron zu den Mitteln hochzufahren. Im Nachhinein erscheint es zwar kaum fassbar, dass die Engpässe nicht absehbar gewesen sein sollen: Jede verantwortliche Leitung hat eine ziemlich genaue Vorstellung, wieviel Mittel jeder Mitarbeiter im Durchschnitt pro Jahr verbaut, und ab welcher Gesamtsumme Geld liegenbleibt. Aber ein andauernder Investionshochlauf war nach Jahren des Darbens wohl für viele nicht vorstellbar.
Das Problem wurde zwar zügig erkannt, aber nur zögerlich angegangen. Bei der bundeseigenen Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung werden seit 2013 Modelle hin- und herdiskutiert, wie sie sich aus den Klauen des öffentlichen Tarifrechts befreien kann. Greifbare Resultate gibt es bis heute nicht. Die auf halber Strecke verunglückte Organisationsreform von Ramsauer tut ein übriges, um die Verwaltung zu entschleunigen.
Für die DB-Infrastruktursparte fehlten lange Zeit schlicht Anreize, Planungen früher als unbedingt nötig in Angriff zu nehmen. Ob die in den letzten beiden Jahren angestoßenen Veränderungen – Vorfinanzierung von Vorplanungen durch den Bund und die „Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung“ (BUV) – wirken, kann wegen der langen Vorlaufzeiten ehrlicherweise noch nicht beurteilt werden.
Drahtseilakt Autobahngesellschaft
Im Straßenbau hat Dobrindt mit der Autobahngesellschaft den Versuch gestartet, die im Investitionshochlauf offengelegten Leistungsunterschiede zwischen den Auftragsverwaltungen der Ländern einzuebnen. Die große Unbekannte ist jetzt, ob der Übergang von der Länderauftragsverwaltung in die Bundesverwaltung ohne Knirschen und Know-how-Verluste gelingt. Im Falle eines Gelingens wird die Früchte aber erst der übernächste Verkehrsminister ernten.
Ob Dobrindt mit der Autobahngesellschaft auch eine verborgene Privatisierungsagenda verfolgt hat, wird wohl noch lange kontrovers diskutiert werden. Einiges deutet darauf hin, dass das BMVI in erster Linie eine Organisationsreform angestrebt hat. Die Spuren zu Privatisierungsabsichten führen eher ins Finanz- und Wirtschaftsministerium.
Wunschkonzert mit Misstönen
Ebenso umstritten ist der neue Bundesverkehrswegeplan (BVWP 2030). Während die 2012 noch unter Ramsauer vorgestellte Grundkonzeption mit den Grundsätzen „Erhalt vor Neubau“ und „Konzentration auf die Hauptachsen“ sogar von einem Teil der Grünen hinter vorgehaltener Hand als im Grunde gelungen gelobt wurde, trug der eigentliche Aufstellungsprozess unter Dobrindt dann doch wieder Züge eines Wunschkonzerts, speziell im Straßenbau.
Zwar ist es Dobrindt gelungen, die Überzeichnung des vordringlichen Bedarfs auf ein im Vergleich zu 2003 bescheidenes Maß zu beschränken. In letzter Minute haben die Verkehrspolitiker der großen Koalition jedoch noch zahlreiche Bundesstraßenprojekte aus dem „weiteren Bedarf“ mit Planungsrecht versehen. Das ist nach aller Erfahrung das Einfallstor für die Länder, durch das sie die ihnen wichtigen Projekte vorziehen.
Die Bahnbranche wiederum ist empört, dass das BMVI bis heute noch nicht alle Projekte abschließend bewertet hat, sondern sie im „potenziellen Bedarf“ zwischengeparkt hat. Ein Gutteil der Schuld fällt auf die DB zurück, die die Abgabefrist für die Projektanmeldungen deutlich überzogen hat. BMVI und einige Länder, die die Bewertung und notwendige Gutachten zu spät in Auftrag gegeben haben, haben aber auch ihren Beitrag geleistet.
Vor allem aber an der Aufteilung der Investitionsmittel auf die Verkehrsträger scheiden sich die Geister: Während sich Dobrindt rühmt, den Anteil der umweltfreundlicheren Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße an den Gesamtinvestitionen einschließlich Erhalt auf 50,7 Prozent erhöht zu haben, halten ihm Opposition und Umweltverbände entgegen, dass die Straße 55,4 Prozent der Mittel für Neu- und Ausbau bekommt.
Gerne vergessen wird von ihnen, dass die neue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV II) für die Jahr 2015 bis 2019 am oberen Rand der Erwartungen abgeschlossen wurde. Nicht nur hat der Bund seinen Zuschuss von vorher 2,5 Mrd. EUR auf durchschnittlich 3,3 Mrd. EUR pro Jahr erhöht, sondern er ist auch ohne langes Murren eingesprungen, als die fest eingeplante DB-Zwangsdividende ausgefallen ist. Wann hat man so etwas zuletzt erlebt?
Leitplanken für automatisierte Autos
Ein „Ja, aber“ verdient er für das Gesetzespaket zum automatisierten Fahren. Es mag handwerklich schlecht sein, es mag zu industriefreundlich sein, es mag Unece-Regelungen vorgreifen: Das alles lässt sich schwarz auf Weiß nachweisen. Aber diese Gesetzesinitiative hat auch einen weichen Faktor. Und da muss ihr attestiert werden, dass sie eine breite gesellschaftliche Diskussion in Gang gebracht hat. Das Thema ist jetzt einem breiten Publikum präsent. Und die begleitende Ethik-Kommission hat Leitplanken geliefert, die wahrscheinlich auch noch in 20 Jahren Bestand haben werden.
Der große Zauderer
Eindeutig nicht mit Ruhm bekleckert hat sich Dobrindt beim Lkw-Maut-System. Dass er die beiden Schiedsverfahren zwischen Bund und Toll Collect um Schadenersatz für die missratene Mauteinführung 2003 zu Ende bringt, sollte niemand ernsthaft geglaubt haben. Beide Seiten haben bei einem wie auch immer gearteten Abschluss mehr Ärger zu erwarten als durch den Schwebezustand.
Aber dass Dobrindt die Neuausschreibung für das Lkw-Mautsystem noch weiter hinausschiebt als sein Amtsvorgänger, war so nicht zu erwarten. Die Folge: Ein Wettbewerb, in dem vielleicht auch ein neues und kostengünstigeres System gegen das zwar grundsolide, aber konzeptionell etwas angestaubte Toll-Collect-System hätte antreten können, verbot sich aus zeitlichen Gründen.
So blieb nur noch die Möglichkeit, dass der Bund Toll Collect für eine historische Sekunde selbst übernimmt und dann an einen neuen Betreiber weiterreicht. Auch das wird nach heutigem Stand mindestens ein knappes Rennen, denn der in der Vorrunde unterlegene Bewerber Ages will sich in das Verfahren wieder einklagen.
Bei dem anderen Mautthema ist Deutschland an der Mainlinie gespalten. Mit den Worten „Ein Dobrindt scheitert nicht“ hatte ihm CSU-Chef Horst Seehofer Ende 2013 die Aufgabe übertragen, einen Herzenswunsch aller CSU-Stammtische umzusetzen: Eine Rache-Maut für das ungeliebte „Pickerl“ der Österreicher. Und Dobrindt scheiterte nicht.
Abseits des Streits über die „CSU-Ausländermaut“ muss aber festgehalten werden, dass die Grundidee eines Pkw-Nutzungsentgelts viele stille Anhänger hat. Sie macht den Verkehrsetat nämlich ein Stück unabhängiger von den Launen der Bundesfinanzminister und Haushaltspolitiker.
Aufschlag für die Schiene in letzter Minute
Begleitet wurde die Legislaturperiode von stetigem Klagen der Bahnbranche, dass sie gegenüber der Straße benachteiligt wird. Den ersten Anlass lieferte die Senkung der Lkw-Mautsätze. Die hat zwar das Wegekostengutachten erzwungen und ist von Dobrindt so weit wie zulässig und technisch möglich schon aus Eigeninteresse kompensiert worden, aber unter dem Strich blieb eine Entlastung des Lkw-Schwerverkehrs. Sozialdumping aus Osteuropa und ein deutlich gesunkener Dieselpreis kamen hinzu.
Auf noch mehr Empörung in der Bahnbranche stieß Dobrindts Entscheidung, den Lang-Lkw nach Ende des Feldversuchs in den Regelbetrieb zu überführen. Dass die Anhänger des Lang-Lkw mit der schwerfälligen Ausnahmeverordnung auch nicht zufrieden sind, sei hier nur am Rande notiert.
Jedenfalls wurde Dobrindt erst 2016 unter dem Eindruck tiefroter Zahlen bei der bundeseigenen DB Cargo aktiv und ließ einen Masterplan Schienengüterverkehr erarbeiten, der im Juni 2017 endlich vorgelegt wurde. Für eine Umsetzung in dieser Legislaturperiode kamen die Vorschläge viel zu spät.
Finale mit dem Dieselskandal
Die letzten Monate von Dobrindts Amtszeit wurden jedoch überschattet vom Skandal um manipulierte Abgasreinigung von Dieselautos. Selbst ihm wohlgesonnene Kreise im BMVI monieren, dass er mit seinem langen Schweigen, Herumdrucksen und Taktieren erst richtig Druck im Kessel hat entstehen lassen. Dieser Druck entlud sich in einem Bundestags-Untersuchungsausschuss. Entgegen den vollmundigen Ankündigungen von Oppositionsvertretern gelang es nicht, Dobrindt justiziables Versagen nachzuweisen; der Verdacht, die Regierung (und auch die Vorgängerregierungen) hätten gar nicht so genau wissen wollen, was aus den Auspuffen kommt, konnte aber auch nicht entkräftet werden.
Ob die aktuelle Diesel-Gipfelei mehr zum Ziel hat, als schadensfrei über den Wahltag zu kommen, ist noch offen. Das Interregnum nach der Wahl bietet Dobrindt aber im nicht-legislativen Bereich die Chance, noch Pflöcke einzurammen, wo ein voll der Koalitionsdisziplin verpflichteter Minister passen muss. (roe)