BMVI schweigt zu Systemkosten für Pkw-Maut

  • Gutachter streiten weiter über Annahmen, Einnahmen und Ausgaben
  • BMF stellt sich hinter das BMVI
  • EuGH-Klage unausweichlich?

Das BMVI will mit Rücksicht auf die anstehende Ausschreibung des Pkw-Mautsystems keine Zahlen zu dessen Errichtungskosten liefern. Das war am Rande der Anhörung des Bundestags-Verkehrsausschusses zur geplante Pkw-Maut zu hören. Man wolle den Bietern keine Anhaltspunkte liefern, wie hoch oder niedrig sie ihre Angebote ansetzen müssen, um die Erwartungen des Ministeriums zu erfüllen.

BMVI-Abteilungsleiter Gerhard Schulz hatte in der Anhörung lediglich gesagt, die Errichtungskosten seien in den jährlichen Betriebskosten (211 Mio. EUR) eingepreist. Die Einführungskosten, die in der Verwaltung des Bundes anfallen (55 Mio. EUR), seien in fünf Jahrestranchen auf die Betriebskosten umgelegt worden. Einer der zentralen Kritikpunkte des Verkehrsberaters Ralf Ratzenberger an der Einnahmeprognose des BMVI von Januar 2017 ist, dass die 2015 mit 380 Mio. EUR bezifferten Errichtungskosten für das privat betriebene Mautsystem nicht mehr erwähnt werden.

Gutachter streiten weiter über Annahmen, Einnahmen und Ausgaben

Im Gutachterstreit über die Einnahmen von den ausländischen Pkw (siehe auch hier) gab es keine Annäherung. Kern des Disputs sind und bleiben die unterschiedlichen Annahmen zu der Häufigkeit, mit der ausländische Pkw zu Tagesgeschäftsreisen und Einkaufsfahrten nach Deutschland einfahren – werden für viele Fahrzeuge Kurzzeitvignetten mit hoher Einnahmeergiebigkeit gekauft oder für wenige Fahrzeuge „billige“ Jahresvignetten? Klären ließe sich diese Frage nur durch eine kennzeichenscharfe Erhebung über mehrere Monate, sagte Ratzenberger. Er erwartet maximal 300-400 Mio. EUR Nettoeinnahmen.

In einem Expertengespräch im Haushaltsausschuss sagte Prof. Thorsten Beckers (TU Berlin), auf Grundlage der vorliegenden Gutachten und eigener Sensitivitätsüberlegungen würde er Vignetten-Erlöse zwischen 250 und 450 Mio. EUR erwarten. In einer weiteren Anhörung des Finanzausschusses zur Pkw-Maut sagte Prof. Alexander Eisenkopf (Zeppelin-Universität Friedrichshafen), er erwarte unter Berücksichtigung aller Kosten ein Nullsummenspiel mit der Tendenz, ins Negative abzurutschen.

Professor Wolfgang H. Schulz, „Hausgutachter“ des BMVI, verteidigte die Prognose des BMVI als konservativ. So habe das BMVI zum Beispiel den Dieselanteil an den ausländischen Fahrzeugen sehr vorsichtig angesetzt. Seine Äußerung, die Prognose des BMVI habe die Tendenz, die Einnahmen um 10 bis 25 Prozent zu unterschätzen, beruhe auf der Annahme, dass sich nicht alle berücksichtigten Risiken einstellen. Schulz sagt, würde man die BMVI-Daten in das Ratzenberger-Modell einspeisen, kämen Vignetten-Erlöse von 500 bis 800 Mio. EUR heraus.

BMF stellt sich hinter das BMVI

Vom Bundesfinanzministerium ist unterdessen keine eigene Einnahmenschätzung mehr zu erwarten, wie sie die SPD in der ersten Lesung im Bundestag angemahnt hatte (siehe hier). Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann verlas ein Schreiben von Finanzstaatsekretär Jens Spahn. „Das Bundesfinanzministerium hat keinen Anlass, die Angaben des BMVI zu bezweifeln“, heißt es darin.

EuGH-Klage unausweichlich?

Auch in der Frage der EU-Rechtskonformität der deutschen Kompensationslösung blieben die Standpunkte konträr. Prof. Andreas Hillgruber (Universität Bonn) verwies auf Artikel 7k der Eurovignetten-Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten für Maut- oder Benutzungsgebühren einen „angemessenen Ausgleich“ schaffen dürfen. Aus der Entstehungsgeschichte heraus sei darunter eindeutig auch eine Absenkung der Kfz-Steuer zu verstehen.

Prof. Franz Mayr (Universität Bielefeld) hält die Einigung Deutschlands mit der EU-Kommission für rechtswidrig. „Das ist eine gewollte Diskriminierung ausländischer Unionsbürger“, sagte er. Die EU-Kommission könne nicht entscheiden, ob es es etwa europarechtskonform sei; das könne nur der Europäische Gerichtshof. Außerdem habe die Kommission bisher noch keine Begründung geliefert, warum sie die Maut in der jetzigen Form nicht mehr für rechtswidrig hält. Er prognostizierte, dass entweder die Nachbarstaaten vor dem EuGH klagen werden oder ein deutsches Gericht als Reaktion auf eine Klage eines Ausländers gegen die Maut früher oder später eine Vorlageentscheidung beim EuGH anfordern wird. Er warnte vor den finanziellen Risiken: Während das deutsche Recht keinen Anspruch auf Schadenersatz für „legislatives Unrecht“ kenne, sei das im Europarecht anders. (roe)

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