Der vor dem Hintergrund des VW-Abgasskandals erneut eingebrachte Gesetzentwurf der Grünen für Verbraucher-Gruppenklagen (siehe hier und hier) ist bei der ersten Beratung im Bundestag auf ein überraschend mildes Echo selbst in Teilen der Union gestoßen. Der AfD-Abgeordnete Lothar Mair, emeritierter Professor für Verbraucherrecht an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, sagte, der Gesetzentwurf gehe in die richtige Richtung, benötige aber noch Feinschliff. Seine Sorge ist, dass einer Klageindustrie nach US-Vorbild der Boden bereitet wird. Deshalb müsse der Anwendungsbereich auf Verbraucherangelegenheiten beschränkt werden.
Die Grünen-Rechtsexpertin Manuela Rottmann widersprach ihm. Wenn zum Beispiel mehrere VW-Händler zum Umtausch von Autos verurteilt werden, müssten sie selbst Gelegenheit bekommen, gemeinsam gegen den VW-Konzern vorzugehen, damit sie nicht auf ihrem Schaden sitzenbleiben. Auch der CSU-Rechtsexperte Volker Ullrich kündigte an, dass man bei dem geplanten eigenen Gesetzentwurf zur Einführung von Musterfeststellungsklagen ein Klagerecht für Handwerker und andere Gewerbetreibende prüfen werde. Dieses Gesetz soll nach dem Willen der Koaalitionäre zum 1. November 2018 in Kraft treten.
Maier bemängelte weiter, dass die Kostenregelung Großkanzleien bevorzuge. Im Falle einer gerichtlichen Niederlage haftet der Gruppenkläger – Vertreter der Teilnehmer – für alle Kosten, die über einen gedeckelten Beitrag der Teilnehmer hinausgehen. Problematisch sei auch der Zwang, sich einen Anwalt zu nehmen.
Die FDP-Rechtsexpertin Katharina Kloke wehrte sich vor allem gegen die Einführung von Privilegien für Verbände. „Wir wollen keine Ausweitung des Verbandsklagerecht“, sagte sie und sprach von „Paternalismus“. Als nicht verfassungskonform sieht sie die Regelung an, dass Teilnehmer an Gruppenklagen nicht parallel individuelle Klagen verfolgen dürfen. Die seit Jahren andauernden Versuche der Großen Koalition, sich auf einen eigenen Gesetzentwurfzu einigen, verglich Kloke mit dem Bau des Hauptstadtflughafens BER.
Der SPD-Rechtsexperte Johannes Fechner bezeichnete den Vorschlag der Grünen als zu kompliziert. Da der Schadenersatzanspruch jedes einzelnen Teilnehmers im Gruppenverfahren direkt entschieden werden müsse, sei eine Entlastung der Gerichte nicht zu erreichen. In die gleiche Kerbe hieb Ullrich, der auf die Praxis von den Grünen als Blaupause genutzte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) verwies: Bis heute seien noch nicht alle Ansprüche aus dem Verfahren zur Telekom-Aktie geklärt.
Eine harte Linie vertrat lediglich der CDU-Rechtsexperte Sebastian Steinecke, der den Grünen vorwarf, einer Klageindustrie nach US-Verbild ohne Nutzen für den Verbraucher den Boden zu bereiten. Rottmann hielt ihm entgegen, er schütze die „Klageabwehrindustrie“ von Großunternehmen. (roe)