- Merkel kritisiert indirekt Wissmann
- Trade-off zwischen CO2 und NOx unzulässig
- Rüffel für ausländische Hersteller
- IAA ohne Euro-6d-Diesel?
Matthias Wissmann, Präsident des Autoindustrieverbandes VDA, hat bei der Eröffnung der Automesse IAA am Donnerstag die Stickoxid-Grenzwerte für die Luftbelastung in Frage gestellt. „Während auf der Straße nur 40 Mikrogramm erlaubt sind, gilt für Büroräume ein Richtwert von 60 Mikrogramm“, sagte er. Für Arbeitsplätze in der Industrie gelte sogar Grenzwert von 950 Mikrogramm/m3. „Kann man eigentlich von einem sinnvollen Regulierungskonzept sprechen, wenn das Immissionsniveau in Innenräumen zum Teil viel höher ist und gesetzlich sogar viel höher sein darf? Rechtfertigt dieser Sachverhalt tatsächlich, mit Fahrverboten in Eigentum und Mobilität einzugreifen?“ Er verwies darauf, dass die amerikanische Umweltbehörde EPA – die nicht als industriefreundlich gilt – für die Straße einen Grenzwert von 100 Mikrogramm/m3 vorschlage. Das würde bedeuten, dass es in Deutschland keine signifikanten Überschreitungen gäbe.
Der 40-Mikrogramm-Grenzwert entspricht allerdings den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Er berücksichtigt auch geschwächte Personen und Kinder. Der 950-Mikrogramm gilt für arbeitsmedizinisch speziell überwachte Bereiche, wo zum Beispiel geschweißt wird. Der 60-Mikrogramm-Grenzwert für Büroräume soll laut Umweltbundesamt perspektiv auf 40 Mikrogramm/m3 heruntergesetzt werden.
Merkel kritisiert indirekt Wissmann
Im weiteren Verlauf der Eröffnungsfeier lieferten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wissmann einen indirekten Schlagabtausch. Während Wissmann im Dieselskandal indirekt nur den Abgasbetrug des VW-Konzerns (und mutmaßlich des Fiat-Konzerns) als „gravierende Fehler“ bezeichnete, ging Merkel weiter: „Unternehmen der Automobilindustrie haben Regelungslücken exzessiv genutzt und sich damit nicht nur selbst Schaden zugefügt, sondern auch Verbraucher und Behörden getäuscht und enttäuscht.“ Sie spielte damit auf die Motorschutz-Klausel in der EU-Verordnung 715/2007 an, die als Begründung für die weit verbreiteten. „Thermofenster“ herhalten musste.
Trade-off zwischen CO2 und NOx unzulässig
Differenzen wurden auch bei der Bewertung der innermotorischen Effizienzzuwächse deutlich. Wissmann verwies darauf, dass ein Diesel bis zu 25 Prozent weniger Kraftstoff als ein vergleichbarer Benziner und wesentlich bessere CO2-Werte aufweist. Merkel entgegnete hin, der Effizienzzuwachs sei durch Verkehrszuwachs und „größere Fahrzeuge“ ausgeglichen worden. Unmissverständlich gab sie zu verstehen, dass mit dem Pariser Klimaabkommen der Rahmen gesetzt ist. „Uns muss ein Wandel zu emissionsfreier Mobilität gelingen.“
Merkel widersprach der bisweilen aus der Autobranche zu vernehmenden Kritik, die Politik müsse sich zwischen CO2 und Stickoxid-Senkung entscheiden. „Ein Entweder-Oder hilft hier gar nicht, beides muss möglich werden.“ Sie betonte, das „wir auf Jahrzehnte noch Verbrennungsmotoren brauchen werden, und zwar effiziente und sparsame“.
Rüffel für ausländische Hersteller
Ungewöhnlich viel Beifall erntete sie für den Hinweis, dass auch die ausländischen Hersteller für die Erhaltung und Verbesserung der Luftqualität verantwortlich sind. „Über Deutschlands Straßen rollen über drei Millionen Dieselfahrzeuge ausländischer Hersteller“, sagte sie. „Deshalb glaube ich, dass auch ausländische Hersteller einen substanziellen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten müssen.“
IAA ohne Euro-6d-Diesel?
Auf Kritik des Umweltschutzverbandes BUND stieß Wissmanns Feststellung, die neueste Technologie zeige, „dass die Schadstoff-Grenzwerte – sowohl auf dem Prüfstand als auch auf der Straße – eingehalten werden.“ Nach Recherchen des BUND ist kein einziges Fahrzeug der auf der IAA ausgestellten Dieselfahrzeuge schon nach RDE-Regeln zugelassen worden (Schadstoffklasse Euro 6d). „Käufer dieser fabrikneuen Fahrzeuge laufen noch immer Gefahr, zukünftig von Fahrverboten betroffen zu sein“, warnte der BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg. Der BUND kritisiert, dass die Autohersteller solche Fahrzeuge weiterhin auf den Markt bringen und aktuell sogar mit so genannten „Umweltprämien“ als sauber verkaufen.
Aus Branchenkreisen ist zu hören, dass viele Hersteller Typzulassungen noch vor den 1. September vorgezogen haben sollen, um der Pflicht zu RDE-Tests zu entgehen. (roe)