Deutschland sollte nicht zu früh auf Optionen wie den Oberleitungs-Lkw setzen. Davor warnte Verkehrsstaatssekretär Norbert Barthle am Dienstag auf der Jahreskonferenz der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie (MKS) in Berlin.
Das Konzept birgt nach seiner Ansicht „erhebliche Risiken und Nebenwirkungen“ in sich: Sollte der O-Lkw in Deutschland eine nationale Insellösung bleiben, könnte damit nur ein Viertel des Lkw-Verkehrs auf den Autobahnen elektrifiziert werden. Offen sei auch, wie die O-Lkw auf Strecken ohne Oberleitung angetrieben werde. Angesichts eines zweistelligen Milliardenbetrags für die Infrastruktur stelle sich die Frage, ob das Geld an anderer Stelle nicht sinnvoller verwendet werden könne. Das BMVI setze daher für den schweren Fernverkehrs-Lkw auf Wasserstoff und Brennstoffzelle. Das BMVI will im Frühjahr 2017 eine Fortschreibung der MKS veröffentlichen
Renaissance des O-Busses?
An anderer Stelle will das BMVI aber sehr wohl auf Oberleitung setzen – und zwar beim Bus, kündigte die zuständige Unterabteilungsleiterin Birgitta Worringen an: Mit drei Pilotprojekten in Solingen, Marburg und Trier will das Ministerium Hybrid-O-Busse erproben, die auf der Kernstrecke unter Draht fahren und außerhalb mit Batterie. „Es ist die kostengünstigste Elektrifizierungsoption“, sagte Worringen. Ein Forschungsprojekt zum automatischen Hochfahren und „Aufgleisen“ der Stromabnehmer sei in Arbeit.
Neues Förderprogramm für Nfz angekündigt
Barthle kündigte an, neben dem schon länger geplanten Förderprogramm für emissionsarme schwere Lkw ab 7,5t auch alternative Antriebe bei leichten Nutzfahrzeugen für den Liefer- und Verteilerverkehr zu fördern. Barthle zeigte sich zuversichtlich, dass in diesem Bereich bis 2030 eine fast vollständige Elektrifizierung möglich ist.
Während das erstgenannte Programm aus Mautharmonisierungsmitteln finanziert wird, sind für das zweite Programm Mittel aus dem Energie- und Klimafonds (EKF) geplant.
Zweifel an „Brückentechnologien“
Komprimiertem Erdgas (CNG) und Flüssigerdgas (LNG) billigt das Ministerium im Lkw nur den Status einer Übergangstechnologie zu. Zwar sei damit eine schlagartige Reduzierung der Luftschadstoffe auf Null möglich, der Beitrag zur Dekarbonisierung bleibe aber gering. Worringen nannte als Grund auch die geringe Energieeffizienz.
Nicholas Minde vom Speditionskonzern Kühne+Nagel goss noch zusätzliches Wasser in den Wein: Eine LNG- und CNG-Infrastruktur für Lkw sei spätestens 2050 obsolet. Investitionen in diese Technik dürften also nicht zu hoch sein, wenn sie sich in den verbleibenden 35 Jahren amortisieren sollen. Dennoch will das Ministerium ein Förderprogramm für CNG auflegen und im Frühjahr 2017 zu ersten Projektskizzen auffordern.
Unstrittig blieb, dass LNG in der Binnen- und Seeschifffahrt eine entscheidende Rolle spielen wird. Bedauerlich ist aus Sicht von Worringen, dass die Branche noch zögert. Das BMVI will deshalb eine Runden Tisch mit den Stakeholdern einrichten.
Schiene geht nicht leer aus
Worringen kündigte an, die Elektrifizierung des Schiene mit rund 80-100 Mio. EUR zusätzlich zu fördern. Das Geld soll ebenfalls aus dem EKF kommen.
Deutlich wurde aber auch, dass die Verkehrsverlagerung auf Schiene sowie Rad- und Fußverkehr nur einen begrenzten Beitrag zur Dekarbonisierung leisten kann. Gernot Liedtke vom Forschungsinstitut DLR stellte eine auf realistischen bis ambitioniert-realistischen Szenarien basierte Untersuchung für den Zeitraum bis 2030 vor, wonach auf diesem Weg höchstens 10 Prozent CO2-Einsparung möglich sind.
Auf Marktsegmente heruntergebrochen kann der Schienengüterfernverkehr einen Beitrag von bis zu 18 Prozent CO2-Einsparung leisten, muss dafür aber einen Modal-Split-Anteil von 35 Prozent erreichen. Im Nahverkehr sind bei Übertragung des Radfahrverhalten der Niederländer und des ÖPNV-Verhaltens der Schweiz immerhin noch 16 Prozent Einsparung drin. Im Schienenpersonenfernverkehr hingegen beträgt das Einsparpotenzial im günstigsten Fall 6,5 Prozent. Um die ambitionierten Szenarien umzusetzen, seien aber jährlich 1 bis 2 Mrd. EUR zusätzliche Investitionen nötig. (roe)