Deutschland droht Vertragsverletzungsverfahren

Das berichtete Spiegel online bereits vergangene Woche. Bislang ist nichts dergleichen passiert. Doch dass eine Klage kommen wird, sehen deutsche Europaabgeordnete als gesichert. Und finden das auch gut: „Dass die Kommission bei Vertragsverstößen ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, ist folgerichtig“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der Liberalen im EU-Parlament Gesine Meißner (FDP).

Gleich gegen mehrere EU-Mitgliedstaaten sollen Verfahren eröffnet werden. Immer aus dem gleichen Grund: das Fehlen von Strafen, die dann greifen sollen, wenn ein Autohersteller unerlaubt Abschaltvorrichtungen für Euro 5 und Euro 6 Motoren einbaut und wirksam werden lässt. Bis 2009 hätten die Mitgliedsländer Strafen für solche Vergehen festlegen und an die Kommission melden sollen. Bis heute hätten viele das nicht gemacht.

EU-Kommission reagiert spät

Warum die Kommission aber erst jetzt reagieren will und nicht schon vorher gegen das Versäumnis vorgegangen ist, öffnet Tür und Tor für Spekulationen. Doch weder Meißner, noch Ismail Ertug (SPD), verkehrspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im Europaparlament, wollen spekulieren. Die Ankündigung von Bienkowska erscheine ihm zwar „auch etwas aktionistisch“, teilt Ertug mit. Allerdings sei es gut, dass die Kommission in dieser Frage endlich in die Gänge komme. „Wenn bestimmte Gesetzgebungen seit über sieben Jahren in manchen Mitgliedstaaten gar nicht oder nicht vollständig umgesetzt werden, führt auch aktionistisches Verhalten letztlich zum Ziel“, so der Bayer gegenüber dem Verkehrsbrief.

Er ruft auch nochmal in Erinnerung, dass beim Abgasskandal mehrere Rechtsakte zusammenspielen. Das sei zum einen die sogenannte Euro 5/Euro 6 Verordnung (715/2007), die die Schadstoffgrenzwerte unter anderem für NOx festlegt und auch das Verbot der so genannten „defeat devices“, also der Betrugssoftware beinhaltet. Zum anderen gebe es die Typgenehmigungsrichtlinie (2007/46/EG), die die Prüfungen und Abläufe für die Typgenehmigung und die Marktüberwachung regelt.

Richtlinie zur Typengenehmigung wird zur Verordnung

Diese Typgenehmigungsrichtlinie wird bereits überarbeitet. „Aus der Richtlinie wird eine Verordnung, sie gilt damit unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat und kann nicht 28-fach unterschiedlich ausgelegt in nationales Recht umgesetzt werden“, sagt Ertug. Außerdem soll die Kontrolle der nationalen Typgenehmigungsbehörden verstärkt und die Marktüberwachung ausgebaut werden. „Das würde dem untragbaren aktuellen Zustand ein Ende bereiten, in dem beispielsweise das KBA selbst dann eine Typgenehmigung für ein in Italien genehmigtes Fahrzeug nicht anfechten oder aufheben kann, wenn es selbst Betrügereien feststellt. Denn nur die Behörde, die die Typgenehmigung erteilt hat, kann das“, so Ertug. Deutschland habe sich allerdings gegen die Reform der Typengenehmigung im Rat ausgesprochen.

Den Vorstoß von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) im EU-Verkehrsministerrat vom vergangenen Juni, als Dobrindt mit einem Fünf-Punkt-Papier unter anderem Passagen aus Verordnung (715/2007) ändern wollte, nennt Ertug „nichts als Augenwischerei“. Dobrindt habe ja nur eine unklarer Bestimmung durch eine nicht ganz so unklare ersetzen wollen. „Die wirklichen Probleme – schwache Marktüberwachung, realitätsferne Tests, wenig Transparenz und Kontrolle bei der Typgenehmigung – will er gar nicht in Angriff nehmen“, so Ertug.

Dobrindt blitzt bei Kommissarin ab

Auch Bienkowska hatte damals Dobrindts Vorschläge zurückgewiesen. Allerdings mit einer anderen Begründung: Die Passagen seien eindeutig definiert. Keine Prüfbehörde aus keinem Mitgliedsland habe sich jemals mit der Kommission in Verbindung gesetzt, um bei angeblichen Auslegungsspielräumen zu Abschaltvorrichtungen Hilfe zu erfragen. Die Mitgliedsländer müssten vielmehr geltende Gesetze umsetzen.

Es sieht danach aus, dass Bienkowska das Mittel des Vertragsverletzungsverfahrens wählen will, um den Druck zur Erfüllung dieser Forderung zu erhöhen. (kw)

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