Linke, Grüne und SPD sehen sich durch Gutachten zu Abgasproblematik jeweils bestätigt

Krischer nimmt Kanzleramt unter Beschuss

Linke und Grüne sehen durch die jetzt vorliegenden Gutachten für die erste Sitzung am Donnerstag ihre These bestätigt, dass die Bundesregierung und die Behörden schon lange vor dem VW-Skandal von flächendeckendem Überschreiten der Abgas-Grenzwerte wusste, aber nichts dagegen unternommen hat. Der Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sprach am Mittwoch davon, dass sogar das Kanzleramt schon 2010 mit dem Thema Stickoxide befasst habe, wollte auf Nachfrage aber keine Details nennen.

Die SPD-Obfrau Kirsten Lühmann hielt der Opposition entgegen, dass es vor dem VW-Skandal keine Belege für illegale Abschalteinrichtungen gegeben habe. Die Defizite des Labor-Prüfzyklus NEFZ seien laut den Gutachtern zwar seit 2005 bekannt gewesen, aber es habe damals kein besseres Verfahren gegeben. Der Grünen-Verkehrsexperte Stephan Kühn zog aus den vorliegenden Gutachten den entgegengesetzten Schluss: Man hätte schon viel früher am NEFZ nachbessern können. Warum sei das nicht forciert worden?

Zu den jetzt immer wieder verlangten Tests im Realbetrieb sagte Lühmann, eine Messung mit mobilen Messgeräten („PEMS“) sei erst nach der Verkleinerung der Geräte ab 2015 im größeren Umfang möglich geworden.

Mindestens HBEFA-Werte waren lange bekannt

In den Gutachten selbst wird wiederholt auf das kontinuierlich aktualisierte „Handbuch Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs“ (HBEFA) verwiesen, das vor allem den Kommunen für die Berechnung der Stickoxid-Belastung dient und damit als behördenbekannt gelten kann. Die dort verwendeten NOx-Werte basieren auf Messungen nach dem CADC-Zyklus (Common ARTEMIS Driving Cycle/“Real World Cycle“). Ergebnis sind NOx-Emissionen, die bei Euro-4-Fahrzeugen den Grenzwert um mehr als das 200 Prozent und bei Euro 5 um rund 300 Prozent übersteigen. Auch Euro-6-Autos übersteigen den Grenzwert um rund 200 Prozent – was absolut gegenüber Euro 5 immerhin eine Halbierung der NOx-Emissionen bedeutet. Die Gutachten sollen in den kommenden Tagen auch auf der Website des Untersuchungsausschusses eingestellt werden.

Grundsätzlich bestätigt werden diese Ergebnisse von einer am Mittwoch vorgestellten neuen Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die 33 Euro-6-Diesel im Realbetrieb bei sommerlichen Temperaturen gemessen hat. Danach werden die Grenzwerte um bis das Neunfache überschritten. Nur drei Fahrzeuge hielten den Grenzwert von 80mg/km ein, weitere sechs lagen innerhalb der Spanne des ab Herbst 2017 geltenden Konformitätsfaktors 2,1.

Schwärzungen und Gerangel um Zeitplan

Ein weiterer Kritikpunkt der Oppositionsfraktionen waren Schwärzungen in einem Teil der Akten. Lühmann sagte, es handle sich um vorläufig zur Verfügung gestellte Aktenkopien, die bereits für eine Anfrage gemäß Informationsfreiheitsgesetz herausgegeben worden seien und deshalb geschwärzt worden seien. Die „richtigen“ Akten kämen später.

Krischer drohte der Regierung indirekt an, dass Schwärzungen das Verfahren verlängern könnten. Während die Koalitionsfraktionen das heikle Thema möglichst früh vor der Sommerpause 2017 abschließen wollen, sind aus Oppositionskreisen Gedankenspiele zu vernehmen, den Abschlussbericht erst kurz vor der Bundestagswahl zu verabschieden. Die Unionsfraktion verzichtete übrigens im Gegensatz zu den drei anderen Parteien gänzlich auf jede Stellungnahme im Vorfeld. (roe)

Externe Links:

Website des Untersuchungsausschusses

Neue Abgasmessungen der DUH

Schreibe einen Kommentar