Wissenschaft tritt Debatte über Bahnreform II los

  • Nicht nur zentralisiertes Angebotskonzept hat Vorteile…
  • …sondern auch monopolisierte Transportleistung…
  • …und zentraler Vertrieb
  • DB-Fernverkehrskonzept schon eingepreist oder „tot“?

Ausschreibung, DB-Monopol wie bisher oder Open Access? Eisenbahnpraktiker und Wissenschaft zeigten sich auf einer Fachkonferenz in der TU Berlin zwar weitgehend, wie der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) im Deutschland nicht organisiert werden sollten, schreckten aber vor klaren Pro-Empfehlungen zurück. Als entscheidende Rahmenbedingungen wurden einhellig die mangelnden Kapazitäten in den wichtigsten Bahnknoten und die Überlastung vieler Rennstrecken ausgemacht. Damit sei „Open Access“ – also zuschuss- und auftragsfrei agierende Wettbewerb in Konkurrenz zum Quasimonopolisten – unwahrscheinlich. Nach Einschätzung des langjährigen Eisenbahnmanagers Hans Leister seien im Vergleich zu Ländern mit intensivem Open-Access-Wettbewerb auch die deutschen Trassenpreise zu hoch. Er verwies zusätzlich auf das Projekt Deutschlandtakt. Open Access könne diesen Takt „zerschießen“.

Nicht nur die Veranstalter, Prof. Thorsten Beckers von der TU Berlin und Prof. Alexander Eisenkopf von der Zeppelin-Unversität Friedrichshafen, zeigten sich daher unschlüssig, ob die grundsätzliche Skepsis der Wirtschaftswissenschaftler gegen „Planwirtschaft“ in diesem Fall berechtigt ist.

Nicht nur zentralisiertes Angebotskonzept hat Vorteile…

Beckers sprach sich deshalb dafür aus, methodisch die Vor- und Nachteile von Zentralität und Wettbewerb für die drei Ebenen Angebotskonzept/Fahrplangestaltung, Transportleistung und Vertrieb zu untersuchen.

Für eine zentrale Angebotskonzeption und Fahrplangestaltung spricht nach seiner Ansicht, dass dabei Netzwerkeffekte entstehen, während der Wettbewerb aus gesamtwirtschaftlicher Sicht mehr Nachteile bringt. Auch sei es leichter, SPNV und SPFV aufeinander abzustimmen.

Offen ließ Beckers, wer auf dieser Ebene Entscheidungen fällt. Prof. Christian Böttger von der HTW Berlin warf ein, er könne sich angesichts der potenziellen Konfliktlage zwischen Bundesländern in der Mitte und denen an der Peripherie einen „Bundesaufgabenträger“ nur schwer vorstellen.

…sondern auch monopolisierte Transportleistung…

Angesichts des hohen Kapitaleinsatzes im SPFV und eines sehr engen Fahrzeugmarktes sieht Beckers auch einen Wettbewerb auf der Transportebene als problematisch an. Ein Regulierer müsste wesentlich mehr Know-how aufbauen. Wenn dann noch viele wasserdichte Verträge abgeschlossen werden müssten, sei das nur ein Riesengeschäft für Berater, ohne mehr Nutzen zu schaffen, ließ er gegenüber dem Verkehrbrief durchblicken.

Deutlich einfacher sei eine Inhouse-Lösung mit einem bundeseigenen Monopolisten DB. Er empfahl der Politik allerdings, DB Fernverkehr straffer zu steuern, zum Beispiel mit einem Vertrag. Wie in der Schweiz sei es denkbar, die Staatsbahn regelmäßig punktuellem Wettbewerb durch andere Zugbetreiber an der Peripherie auszusetzen („impliziter Wettbewerb“).

Böttger hingegen brachte als Alternative ein Konzesssionsmodell mit der Ausschreibung von Linienbündeln ins Gespräch. Hingegen verwarf er den Vorschlag, den Ländern zusätzliche Mittel für bestellte Fernverkehre zu geben. Das werde wegen unterschiedlicher Länderinteressen nicht funktionieren, prognostizierte er.

…und zentraler Vertrieb

Sowohl Beckers als auch Leister plädierten für einen leistungsfähigen zentralen Vertrieb, der auch willens und in der Lage ist, Fahrkarten von Konkurrenten und den Verbünden zu verkaufen. „Die Gefahr ist, dass es sonst andere machen“, warnte Eisenkopf die DB und spielte dabei auf Google und andere IT-Unternehmen an. Leister, der sonst grundsätzlich DB-kritisch eingestellt ist, zeigte sich überzeugt, dass Europa darauf wartet, wie Deutschland und die DB als „Leithammel“ vorangehen.

DB-Fernverkehrskonzept schon eingepreist oder „tot“?

Auffällig wenig Reaktionen gab es auf die Vorstellung des DB-Fernverkehrskonzepts für 2030 durch Markus Ksoll. Matthias Pippert von der Bahngewerkschaft EVG zeigte sich skeptisch, ob nicht der nächste DB-Vorstand das Vorhaben wieder kassiert, weil es nicht ausreichend profitabel ist. Böttger präsentierte eine grobe Kalkulation, wonach das Konzept nur 180 Mio. EUR Gewinn/Jahr erwirtschaften kann; er erkenne daher nicht, wie die anstehenden Investitionen – Stichwort ICE 4 – finanziert werden können. (roe)