Wegen wiederholter Überschreitung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte sende sie jetzt ein letztes Mahnschreiben („Reasoned Opinion“) am Deutschland, teilte sie am Mittwoch in Brüssel mit. Reagiert Deutschland nicht binnen zwei Monaten, kann die Kommission Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben. Neben Deutschland werden auch Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien Klagen angedroht. Grundlage ist die Richtlinie 2008/50/EG, die Grenzwerte für die Luftschadstoffbelastung vorgibt.
Stuttgart spielt Varianten für Einfahrverbote durch
Unterdessen hat Stuttgart am Dienstag einen Maßnahmenplan zur Diskussion gestellt, mit dem die Überschreitungen der Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub gleichermaßen möglichst schnell eingedämmt werden sollen. Hintergrund ist ein Vergleich, den die Landesregierung Ende April 2016 mit einem klagenden Bürger abgeschlossen hat für den Fall, dass auch 2017 die Grenzwerte überschritten werden (siehe hier). Oberbürgermeister Fritz Kuhn stellte zwei denkbare verkehrsbeschränkende Maßnahmen vor, die ab 1. Januar 2018 in Stuttgart umgesetzt werden könnten.
Plan A unterstellt, dass der Bund bis zum 1. Januar 2018 bundesweit die Blaue Plakette eingeführt hat. Das Land könnte dann bei Feinstaubalarm – also nicht dauerhaft – im Talkessel Verkehrsbeschränkungen für Fahrzeuge ohne Blaue Plakette festsetzen. Durch das Zufahrtsverbot für Diesel, die nicht die Euro-6/-VI-Norm besitzen, könnte der Verkehr um 24 Prozent im Talkessel reduziert werden.
Plan B geht davon aus, dass der Bund die Blaue Plakette bis zum 1. Januar 2018 noch nicht eingeführt hat. Dann würde auf Basis der Straßenverkehrsordnung temporär die Zufahrt für Diesel, die nicht die Euro-6/VI-Norm erfüllen, verboten. Sowohl bei Plan A als auch bei Plan B soll es Ausnahmen für den Wirtschaftsverkehr geben. Welche Variante umgesetzt wird, müsse jetzt die Landesregierung entscheiden.
Dobrindt-Vorschlag versagt in der Wirkungsanalyse
Das sogenannte Wirkungsgutachten, das verschiedene Handlungsoptionen und ihre Wirkung für Stuttgart vergleicht, hatte Christoph Erdmenger vom Landesverkehrsministerium am Montag auf einer Fachveranstaltung der Grünen-Bundestagsfraktion in Berlin vorgestellt. Danach würden im Prognosezieljahr 2019 nur die beiden genannten Varianten die Streckenlänge, auf der die Grenzwerte für NOx überschritten werden, um jeweils rund 95 Prozent reduzieren. Selbst dann blieben aber noch rund 25km Straßen mit Überschreitung übrig. Die Streckenlänge mit Feinstaub-Überschreitung würde sich von aktuell 4km auf dann 2,9km verringern.
Die von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt immer wieder ins Spiel gebrachte Umstellung der städtischen „Vielfahrer“ – Taxen, Pflegedienste, Paketdienste, Busse – auf alternative Antriebe bringt laut Gutachten nur rund 14 bis 17 Prozent Verringerung der betroffenen Streckenlänge.
Als Vorteil der Blauen Plakette stellte Erdmenger zum einen heraus, dass die Einhaltung der Vorschriften leicht am ruhenden Verkehr überprüft werden kann. Zum anderen schaffe sie für die Flotte, die unter die Ausnahmetatbestände falle, einen höheren Modernisierungsanreiz. Ausdrücklich widersprach er Umweltverbänden, die eine Blaue Plakette nur solchen Fahrzeugen zubilligen willen, die auch im Realbetrieb die Euro-6-Grenzwerte erfüllen: „Wir brauchen die Plakette lieber schnell als perfekt“.
Analyse der NOx-Quellen in Düsseldorf
In Düsseldorf, der anderen Stadt, die unter massivem juristischen Druck steht (siehe hier), würde eine Blaue Plakette unter Berücksichtigung von „Ausnahmeflotte“ und „Schwarzfahrern“ erst 2020 ausreichen, um den NOx-Grenzwert im Hotspot Corneliusstraße einzuhalten. Das ergaben Modellrechnungen, die Stefan Ferber vom Umweltamt Düsseldorf bei den Grünen vorstellte. Sondersituation ist dort, dass die Hintergrundbelastung mit 28 Mikrogramm/m3 über dem Bundesdurchschnitt liegt (22 Mikrogramm/m3). Um den Grenzwert von 40 Mikrogramm einzuhalten, müssten also die NOx-Emissionen des Verkehrs von derzeit 32 Mikrogramm um gut 60 Prozent verringert werden
Größer Einzelemittent sind Euro-5-Diesel-Pkw mit 34 Prozent. Ferber machte deutlich, dass die erfolgreiche Partikelreduzierung bei Euro 5 für die Stickoxide einen Rückschritt bedeutet: Euro-4-Diesel-Pkw steuern nur 11 Prozent der Belastung bei. Eine Überraschung sei es gewesen, dass Linienbusse – zumeist Euro V – für immerhin 12 Prozent des verkehrsbedingten NOx verantwortlich sind.
Tempo 30 kein Allheilmittel für NOx
Marion Wichmann-Fiebig vom Umweltbundesamt (UBA) trat indirekt Vorstellungen der Umweltverbände entgegen, mit flächendeckendem Tempo 30 das NOx-Problem bekämpfen zu können. Es komme auf den Einzelfall an, zum Beispiel auf den Abstand zwischen den Ampeln und Steigungen. Sie bestätigte damit die Ergebnisse einer Untersuchung der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) aus dem Jahr 2012. (roe)
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