Fernstraßengesellschaft: Knatsch geht über Privatisierungsfrage hinaus

Primat der Politik in Frage gestellt

„Natürlich soll die Gesellschaft auch entscheiden, welche Autobahnen gebaut werden“, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministerium am Montag in der Bundespressekonferenz in Berlin. Deswegen sei eine Privatbeteiligung an der Gesellschaft auch im Sinne der staugeplagten Autofahrer wünschenswert.

Sowohl das BMVI als auch die vom BMWi eingesetzte Fratzscher-Kommission hatten sich jedoch dafür ausgesprochen, die Entscheidung über Neu- und Ausbau bei der Politik zu belassen.

Maastricht-Kriterien im Spiel

Ein weiteres Motiv für das Beharren des BMF auf der Privatisierungsoption sind offenbar die Maastricht-Kriterien. Die Aufnahme von Schulden solle so geregelt werden, dass sie nicht dem Staatssektor zugerechnet werden, sagte der BMF-Sprecher. Deswegen sollte die Gesellschaft staatsfern aufgestellt werden.

Wie er weiter ausführte, sei die Kapitalverzinsung für private Miteigentümer und Fremdkapitalgeber zwar höher als bei einer reinen Bundesgesellschaft mit Staatsgarantie, dies werde durch Effizenzgewinne und eine andere Unternehmenskultur aber mehr als nur kompensiert. Als erfolgreiche Beispiele nannte er Deutsche Bahn, Deutsche Post und Deutsche Telekom.

BMF sieht sich mit Privatisierungsoption im Recht

Ein Sprecher des BMWi bestätigte einen Bericht der Süddeutschen Zeitung, wonach Ressortchef Sigmar Gabriel zum Entwurf des BMF für eine Grundgesetzänderung (siehe hier) wegen der Privatisierungsoption sogenannten Leitungsvorbehalt eingelegt hat und damit die Ressortabstimmung vorerst gestoppt hat. Zurückhaltender äußerte sich ein Sprecher des BMVI, verwies aber auf den Bericht für den Bundestags-Verkehrsausschuss, in dem ebenfalls eine dauerhaft bundeseigene Gesellschaft vorgeschlagen worden war. Aus Regierungskreisen war zu hören, dass die drei Minister voraussichtlich noch in dieser Woche in einem persönlichen Treffen versuchen wollen, die Differenzen auszuräumen.

Der BMF-Sprecher zeigte Unverständnis gegenüber dem Widerstand gegen die Privatisierungsoption von den anderen Ressorts und den Ländern. Er verwies auf den Bund-Länder-Beschluss vom 14. Oktober, konkret die Protokollerklärung Thüringens (externer Link: offizieller Text). Diese Protokollerklärung, in der Thüringen darauf besteht, sowohl das Bundeseigentum an den Straßen als auch an der Gesellschaft festzuschreiben, wäre ja wohl nicht nötig gewesen, wenn es nicht ein anderes Verständnis in der Runde gegeben hätte.

Der Vertreter des BMWi widersprach prompt: Der Beschlusstext lasse alles offen.

Länder wollen sich gemeinsam positionieren

Unterdessen soll die Staatskanzlei von Mecklenburg-Vorpommern eine gemeinsame Position der Länder verfassen, ist übereinstimmend aus Länderkreisen zu hören. Unbestätigt blieb, dass das Kanzleramt bei Bund-Länder-Runde am vergangenen Donnerstag den Ländern die Möglichkeit eröffnet hat, bei der Änderung von Grundgesetz-Artikel 90 Abs. 2 (Ausgestaltung der Infrastrukturgesellschaft) und Artikel 143e (Übergangsvorschriften) eigene Vorschläge zu machen. Als Termin für einen Abschluss der Verhandlungen ist weiter der 8. Dezember vorgesehen.

Verkehrsforum mahnt zu Einigung

Das Deutsche Verkehrsforum sieht in dem Streit in der Bundesregierung einen Zeichen des sich nähernden Bundestagswahlkampfes – „wie wir befürchtet haben“, sagte DVF-Geschäftsführer Thomas Hailer im Gespräch mit dem Verkehrsbrief. Er hoffe auf eine baldige Einigung. „Die Auseinandersetzung mit den Ländern wird noch schwer genug.“

Hailer sprach sich gegen eine Beteiligung von Investoren auf Gesellschaftsebene aus. Es sei zu befürchten, dass sich nicht nur Banken und Versicherer beteiligen, die für kapitalgedeckte Altersversorgeverträge deutscher Bürger Anlagemöglichkeiten suchen, sondern auch ausländische Finanzinvestoren, die andere Interessen verfolgten. ÖPP sollten weiter nur auf Projektebene möglich sein. (roe)

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