Verkehrssicherheit wird von autonomem Fahren vorerst wenig profitieren

„Der Mensch ist nicht die Schwachstelle“, sagte Jürgen Bönninger vom gemeinsamen Prüforganisations-Dienstleister FSD vor reichlich 200 Teilnehmern. Zwar 90 Prozent aller Verkehrsunfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen und könnte durch hochautomatisiertes oder autonomes Fahren verhindert werden – dem stünden aber 90 Prozent von Unfällen gegenüber, die durch menschliches Eingreifen verhindert wurden.

HAF versagt dort, wo der größte Handlungsbedarf ist

Als Dilemma identifizierten Politik und Forschung einhellig, dass das hochautomatisierte Fahren (HAF) zuerst auf der ohnehin vergleichsweise sicheren Autobahn anwendungsreif wird, auf der weitaus unfallträchtigeren Landstraße oder gar im Stadtverkehr der Komplexität noch nicht gewachsen ist. Ein Automat könne keinen Blickkontakt aufbauen und kein Sozialverhalten zeigen, sagte Klaus Kompaß, Leiter Fahrzeugsicherheit bei BMW. Bönninger ergänzte, ohne kontrollierte Regelverstöße würde der Verkehr zusammenbrechen (ein bekanntes Beispiel ist die Berliner Stadtautobahn, auf der der Verkehr nur dank ständiger Verstöße gegen den Sicherheitsabstand fließt).

Sehr skeptisch zeigte er sich zu der aktuellen Novellierung des Wiener Abkommens von 1968 (siehe hier). Kritisch sei die Zeit zwischen der Aufforderung des Fahrzeugs an den Fahrer, die Kontrolle wieder zu übernehmen, bis zur tatsächlichen Übernahme. In zehn Sekunden lege ein Auto bei Autobahn-Richtgeschwindigkeit 360m zurück; bei 60km/h seien es immer noch fast 170m. Im Stadtverkehr müsse das Fahrzeug also de facto jederzeit hochautomatisiert fahren können.

Technik kann ethische Dilemmata noch nicht erkennen

In der gerne hochgezogenen Debatte über ethische Verhaltensalgorithmen angesichts eines unvermeidbaren Unfalls plädierten die Teilnehmer für ein pragmatisches Herangehen. VW-Forschungschef Jürgen Leohold sagte, das hochautomatisierte Auto solle zunächst versuchen, den Unfall zu vermeiden; falls das nicht gelinge, solle es den Schaden verringern: Sachschaden vor Personenschaden, weniger Personen vor mehr Personen. Eine „Qualifizierung“ der Personen – Mutter versus Kind, Rentner versus Manager – sei von der Technik weder heute noch in absehbarer Zukunft zu leisten. Nur gestreift wurde die Frage, inwieweit die Software importierter Autos nationale Wertvorstellungen transportieren könne und dürfe – zum Beispiel aus China oder den USA.

Wer soll Programmierer anleiten?

Unstrittig blieb aber, dass die Programmierer Vorgaben brauchen, was sie programmieren sollen. Die SPD-Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann plädierte, diese Aufgabe an ein nichtpolitisches Expertengremium wie den Deutschen Ethikrat zu delegieren. Der Gesetzgeber sei damit überfordert, ein Regelwerk zu schaffen, das möglichst jeden Einzelfall vorab berücksichtige. Der Jurist Prof. Eric Hilgendorf von der Uni Würzburg plädierte für einen „Algorithmen-TÜV“, DVR-Präsident Walter Eichendorf für eine „zweite Typzulassungsebene“.

Skeptisch wurde die Anregung von Kompaß aufgenommen, die Software solle selbst lernen können. Das Auto könne auch in schlechte Gesellschaft kommen, so wie der selbstlernende Microsoft-Chatbot „Tay“, der von Twitter-Nutzern zu einem Rassisten geformt wurde.

Ist die Vernetzung eine offene Hintertür?

Offen blieb die Frage, wie mit der Vernetzung als Voraussetzung für HAF umzugehen ist. Lühmann kündigte noch für diese Wahlperiode eine Gesetzesinitiative an, die das Eigentum an den Nutzerdaten von Autos regelt und Transparenz vorschreibt. Aus der Sicht von Eichendorf wird das HAF allerdings von US-Datenkonzernen getrieben, die nicht am Auto an sich, sondern den beim Fahren erzeugten Daten interessiert sind. Demgegenüber stünden die deutschen und europäischen Hersteller, die sich unter dem dem Wettbewerbsdruck auch dem HAF widmen müssten, aber eher die Vorteile für den „Fahrer“ im Blick hätten.

Der CDU-Abgeordnete Sebastian Steineke aus Neuruppin bezeichnete es als schlicht unfinanzierbar, auch dünn besiedelte Regionen komplett mit 5G-Mobilfunkstandard abzudecken.

Nicht nur Hilgendorf warnte vor dem Hackerrisiko, das sämtlichen Sicherheitsgewinn zunichte machen könne; „Ihr könnt nicht einmal manipulationssichere Tachos herstellen“, hieß es aus dem Publikum an die Adresse der Industrievertreter. „Wie wollt ihr da Manipulationssicherheit für die Software herstellen?“ (roe)

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