Nur gebremste Begeisterung für ÖPNV zum Nulltarif

  • Widersprüchliche Daten zur Verlagerung vom Pkw
  • Grundsatzbedenken wegen Fehlanreizen
  • Hohe Mehrkosten befürchtet
  • MDV lässt zusätzliche Finanzierungsmodelle prüfen

Grüne Verkehrspolitiker, Wissenschaft und Praktiker sind sich weiter uneins, welchen Beitrag ein ÖPNV zum Nulltarif oder „Bürgertickets“ zur Verkehrs- und Klimawende leisten könnte. Das wurde am Montag bei einem Fachgespräch der Grünen-Fraktion im Bundestag deutlich.

Widersprüchliche Daten zur Verlagerung vom Pkw

Gregor Waluga vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie präsentierte die Ergebnisse einer Studie, bei der mit 14 nicht eingeweihten Probanden die Wirkung von kostenlosem ÖPNV untersucht wurden. Danach sind die Versuchsteilnehmer deutlich weniger mit dem Auto und mehr mit dem ÖPNV unterwegs gewesen. Der Anteil der zusätzlichen Verkehrs („induzierter Verkehr“) sei gering gewesen. Rainer Metz vom VDV wies allerdings darauf hin, dass Langzeiterfahrungen aus dem belgischen Hasselt sowie Templin und Köthen darauf hindeuteten, dass der kostenlose ÖPNV vor allem im Kurzstreckenbereich genutzt werde, auch Fußgänger- und Radverkehr kannibalisiere und außerdem eine stark wetterabhängige Nachfrage aufweise.

Grundsatzbedenken wegen Fehlanreizen

Grundsätzliche Bedenken machte der Unternehmensberater Gerhard Probst geltend: Kostenloser ÖPNV fördere die Zersiedelung. Probst wie auch der VCD-Bundesvorsitzende Michael Ziesak und Arkan Ok von den Berliner Verkehrsbetrieben befürchten zudem, dass bei einem ÖPNV zum Nulltarif der Anreiz für die Unternehmen wegfalle, ein ordentliches Angebot zu bieten.

Hohe Mehrkosten befürchtet

Unisono wurde darauf hingewiesen, dass der ÖPNV in den Ballungsräumen in den Tagesspitzenzeiten ohnehin schon bis zum Anschlag ausgelastet sei. Metz verwies auf eine Modellrechnung des VDV, wonach bundesweiter ÖPNV zum Nulltarif einen Fahrgastzuwachs von 30 Prozent und Mehrkosten für den Betrieb von 12 Mrd. EUR bedeuten würde. Hinzu kämen nicht seriös bezifferbare Investitionen in Milliardenhöhe – erinnert wurde an den 2. Stammstreckentunnel in München, der aktuell mit 3 Mrd. EUR veranschlagt wird. Metz sprach davon, dass kostenloser ÖPNV eher eine Frage von Teilhabe und Sozialpolitik sei, weniger von Verkehrs- und Umweltpolitik.

MDV lässt zusätzliche Finanzierungsmodelle prüfen

Vier Finanzierungsmodelle außerhalb von direkten staatlichen Zuschüssen und Fahrgeldeinnahmen lässt derzeit der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) untersuchen. Voraussetzung für die Auswahl war laut MDV-Fachbereichsleiter Dirk Schadewaldt, dass sie dauerhaft sind, ohne Bundesbeteiligung auskommen und MDV-weit umsetzbar sind:

  • Anhebung der Grundsteuer zugunsten des ÖPNV: Vorteil ist vorhandener Erhebungsweg, Risiken ergeben sich aus dem Non-Affektationsprinzip (Zweckbindung ist bei Steuern eigentlich unzulässig) und Verschlechterung der Standortattraktivität
  • Ein ÖV-Beitrag je Wohneinheit oder Fläche ähnlich zu Erschließungsbeiträgen: Vorteil ist die sichere Zweckbindung, Risiko ist, dass der Bürger einen messbaren Nutzen verlangen darf
  • Ein „Bürgerticket“, das alle Ortsansässigen zwangsweise erwerben müssen: Offen ist, welcher Kreis das Bürgerticket kaufen muss. Außerdem muss die Vertriebsinfrastruktur erhalten bleiben.
  • Eine ÖPNV-Taxe für auswärtige Besucher: Nur in den Großstädten sind signifikante Einnahmen zu erwarten.

Metz mahnte an, sich zunächst für eine Aufstockung des GVFG-Bundesprogramms und eine Fortführung der Entflechtungsmittel für den Verkehr einzusetzen, wenn es um Dekarbonisierung des Verkehrs gehe. (roe)

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