Von einer „Blaupause für die Deindustrialisierung Deutschlands“ wird in Wirtschaftsverbänden gesprochen, wenn die Sprache auf Entwurf für den Klimaschutzplan 2050 kommt, der in der vergangenen Woche aus dem Bundesumweltministerium (BMUB) durchgestochen wurde. Tatsächlich dokumentiert das Papier zumindest für den Bereich Verkehr, dass auch das BMUB im Grunde ratlos ist, wie die in Paris vereinbarte Klimawende in diesem Sektor umgesetzt werden kann.
Wirklich konkret wird es nur dann, wenn die Tonnenziele für die Meilensteinjahr 2020, 2030 und 2050 beziffert werden: Das sind 137 Mio. t CO2-Äquivalente für 2020, 90-100 Mio. t für 2030 und für 2050 eine fast vollständige Unabhängigkeit von fossilen Kraftstoffen. Aktuell ist der Verkehr für rund 160 Mio. t verantwortlich.
Zwischenziel 2020: Hausaufgaben werden als „erledigt“ unterstellt
Um den Meilenstein 2020 zu erreichen, setzt das BMUB auf eine „zügige und sehr ambitionierte Umsetzung der bisher beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen – einschließlich der des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 und des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz“. Tatsächlich lässt die Umsetzung des im Dezember 2014 verabschiedeten Aktionsprogramms Klimaschutz auf sich warten:
- Von der für 2016 versprochenen Förderung von Hybrid-Lkw ist nichts zu sehen
- Die Lkw-Mautsätze sollen laut Gesetzentwurf des BMVI auch ab 2018 nicht nach dem Verbrauch gestaffelt werden
- Das Carsharing-Gesetz ist noch weit von der Verabschiedung entfernt
- Die Landstromversorgung von Schiffen wird bis heute durch die EEG-Umlage konterkariert
- Dass ein Ausbau der Schiene für den Güterverkehr angesichts der heutigen Planungsvorläufe schon 2020 CO2-Einsparungen bringt, sollte schon damals niemand wirklich erwartet haben.
Zusätzliche Erschwernis für die Verlagerung von der CO2-lastigen Straße auf andere Verkehrsträger bedeuten die damals nicht erwarteten niedrigen Rohölpreise.
Zwischenziel 2030: Hauptlast trägt die Straße
Bis spätestens Sommer 2017 soll die Regierung ein Konzept zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen des Straßenverkehrs bis 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 2005 vorlegen.
Für dieses Zwischenziel müssen nach Einschätzung des BMUB die Emissionen des Pkw je Fahrzeugkilometer um 45 Prozent gegenüber 2010 sinken, beim Lkw um 53 Prozent. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Verbrauchssenkung: „Die notwendige THG-Minderung des Straßenverkehrs wird dabei durch die Kombination aus der Effizienzsteigerung der Fahrzeuge und dem verstärkten Einsatz THG-neutraler Energie erreicht.“ – also zum Beispiel aus Grünstrom. Verwiesen wird auf die Plug-In-Hybride. Anekdotische Evidenz aus Kreisen von Firmenwagennutzern lässt allerdings vermuten, dass die Plug-in-Hybrid-Pkw aus Bequemlichkeitsgründen derzeit überwiegend im Verbrennermodus betrieben werden.
Dieselprivilegien im Visier
Bei Einschluss der Plug-In-Hybride gehe die Bundesregierung davon aus, dass das Ziel von sechs Millionen Elektrofahrzeugen im Jahr 2030 „deutlich übertroffen“ werde – sechs Millionen sind aber nur rund ein Siebtel des deutschen Pkw-Bestandes. Um den Umstieg auf Elektroantrieb haushaltsneutral stützen zu können, will das BMUB die Steuerprivilegien für Diesel schrittweise abschaffen.
EEG-Umlage für Bahnen vor dem Aus?
Ebenfalls bis Sommer 2017 soll die Regierung ein Konzept zur Umgestaltung aller Abgaben und Umlagen im Verkehr vorlegen. Ziel sind Anreize für die Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel und Strom aus erneuerbaren Energien. Die ausdrückliche Erwähnung des Wortes „Umlagen“ dürfte im Bahnsektor Hoffnung keimen lassen, dass die EEG-Umlage für elektrische Schienenbahnen fällt.
Bringt das BMUB den Lang-Lkw auf die Tagesordnung?
Für schwere Lkw auf konventioneller Basis – allerdings schon unter Einschluss von Hybridisierung – sieht das BMUB noch ein Potenzial von 30 Prozent Effizienzsteigerung bis 2030. Unter den aufgeführten Optionen wird auch eine „Anpassung der Fahrzeuglänge“ genannt – ob damit der Lang-Lkw gemeint ist, bleibt offen. Langfristig benötige aber auch der schwere Lkw elektrische Antriebe. „Diese werden derzeit schon bei schweren Nutzfahrzeugen im regionalen Lieferverkehr erprobt.“ Dass ausgerechnet die großen Lkw-Hersteller bei diesem Thema kein Engagement zeigen, wird nicht erwähnt.
Bundesmobilitätsplan statt BVWP
Als Prüfauftrag formuliert das BMUB einen verkehrsträgerübergreifenden „Bundesmobilitätsplan“, der dann auch Luftverkehrskonzept, Nationales Hafenkonzept und Aktionsplan Güterverkehr integriert. Die Bürger sollten „angemessen informiert und beteiligt werden“ – eine eindeutige Spitze des BMUB gegen die Öffentlichkeitsbeteiligung beim BVWP. Der „Bundesmobilitätsplan“ trägt eindeutig die Züge des von den Grünen propagierten „Bundesnetzplans“.
„Leitbild 2050“: Ein Baustein ist Verkehrsverminderung
Das Ziel der annähernden Treibhausgasneutralität 2050 soll nach Vorstellungen des BMUB zu einem Teil durch Verkehrsverminderung erreicht werden. Dazu sollen zum Beispiel Wohnen und Arbeiten näher zusammenrücken, es wird mehr von zu Hause aus gearbeitet, und kürzere Wege in verdichteten Städten erleichtern das Umsteigen auf Rad- und Fußverkehr. Dann heißt es jedoch : „Im Bereich der Logistik sind Prozesse weiter optimiert und somit die Zahl der notwendigen Transporte verringert worden.“ Wie das angesichts von E-Commerce und der sonstigen Atomisierung der Sendungsgrößen funktionieren soll, wird nicht weiter ausgeführt.
Vollständige Elektrifizierung angestrebt
Einen weiteren Beitrag zur Emissionsminderung erhofft sich das BMUB von einer Umstellung der Energiebasis. „Die Energieversorgung des Straßen- und Schienenverkehrs sowie Teile des Luft- und Schiffverkehrs sind weitgehend auf Strom aus erneuerbaren Energien umgestellt. So ist es möglich, auch lange Strecken, die weiterhin motorisierte Verkehrsmittel erfordern, ohne energiebedingte Treibhausgasemissionen zurückzulegen.“ Dort, wo Strom nicht direkt im Verkehrsmittel verwendet kann, wird er zur Herstellung von Wasserstoff für Brennstoffzellen oder zur Herstellung von Flüssigkraftstoffen („Power to Liquid“) verwendet.
Ausgeklammert wird offenbar die Frage, wie mit dem zum Teil wesentlich höheren Energieaufwand für die Herstellung „klimafreundlicher“ Verkehrsmittel umgegangen werden soll. Für einen Tesla S werden laut einer Modellrechnung (Welt vom 4.5.2016) bei Herstellung und Außerbetriebnahme 21t CO2 veranschlagt, für einen vergleichbaren Verbrenner 7t. (roe)
(roe)