Experten: GDL-Problem lässt sich nicht gesetzlich lösen

Aktualisiert 5. Mai. Der unmittelbar bevorstehender Lokführerstreik spielte in der Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales zum Tarifeinheitsgesetz am Montag nur eine untergeordnete Rolle. Der Bonner Arbeitsrechtler Prof. Gregor Thüsing erwartet von dem Gesetz keine Lösung für den Streit zwischen GDL, DB und EVG. Da das Mehrheitsprinzip betriebsbezogen angewandt werden soll, könne die GDL sogar einen Betrieb nach dem anderen für sich gewinnen. Er glaube nicht an die mit dem Gesetz angestrebte Befriedungsfunktion. „Es wird nicht weniger Streiks als bisher geben“, sagte er. Thüsing hält es aber für möglich, dass das Gesetz die Gründung neuer Kleinstgewerkschaften stoppt. Er plädierte für minder scharfe Mittel. Denkbar sei es etwa, konkurrierende Gewerkschaften gesetzlich zu gemeinsamen Verhandlungen mit dem Arbeitgeber zuzulassen oder einen Schlichtungsversuch vorzuschreiben, bevor gestreikt werden darf.

Piloten werden in Karlsruhe klagen

Klar für die geplante gesetzliche Regelung sprach sich der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Hans-Jürgen Papier aus. „Es ist für einen Verfassungsrechtler fast unerträglich, dass der Gesetzgeber das Streikrecht über fast sechs Jahrzehnte nicht normativ geregelt hat“, sagte er. Das Streikrecht müsse ausgestaltet werden, er sehe daher keine Verfassungshürde.

Der Rechtsanwalt und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum hingegen kündigte eine Verfassungsklage für die Vereinigung Cockpit in Karlsruhe an. Erwogen werde auch ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, sobald das Gesetz in Kraft tritt.

Strittig blieb, ob das Gesetz den alten Zustand der Tarifautonomie vor 2010 wiederherstellt. Klaus Dauderstädt, Vorsitzender des Deutschen Beamtenbundes – und damit des Dachverbandes für die GDL -, stritt das ab. Damals habe der Grundsatz gegolten, der fachlich näherstehenden Gewerkschaft gegolten. Jetzt soll das Mehrheitsprinzip gelten.

Mehrheitsprinzip bleibt umstritten

Baum sagte, das Mehrheitsprinzip sei eigentlich eine politische Kategorie und dem Arbeitsrecht fremd. Der Bremer Arbeitsrechtler Prof. Wolfgang Däubler warnte aus praktischen Gründen vor dem Mehrheitsprinzip, wie es im Gesetz beschrieben wird: Nach dem Wortlaut seien auch außertarifliche Mitarbeiter und sogar leitende Angestellte zu berücksichtigen. Unklar sei, wie Leitarbeitnehmer und Gewerkschafts-Karteileichen zählten, und wie der Notar mit Widersprüchen bei der Feststellung der Mehrheitsverhältnisse umzugehen haben. Joachim Vetter vom Arbeitsrichterverband prognostizierte, dass sich die Richter im Zweifelsfall nicht in das Streikrecht einmischen werden und Klagen auf Unzulässigkeit von Streiks aussetzen, bis die Mehrheit gemäß ihren Vorstellungen festgestellt worden.

Breite Ablehnung von Notdienstregeln

Auf breite Ablehnung stieß Thüsing mit mit seinem Vorschlag, statt Tarifeinheit vorzuschreiben für die Branchen der Daseinsvorsorge Sonderregeln zu schaffen – etwa in Form von Notdienstregelungen. Im Ausland gehe das ja auch. DGB-Chef Reiner Hoffmann lehnte das glatt ab. „Eingriffe bei der Daseinsvorsorge halten wird als DGB für nicht zielführend und lehnen sie ab“, sagte er. Auch Papier riet davon ab, in dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf auch noch das Streikrecht in der Daseinvorsorge zu regeln. „Das wäre ein Schnellschuss“, warnte er. Grundsätzliche Bedenken hat der ehemalige Bundesarbeitsrichter Franz Josef Düwell, der an der Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit 2010 selbst beteiligt war. „Daseinsvorsorge“ oder „Wertschöpfungskette“ seien keine juristischen Begriffe.

Den Verbänden greift das Gesetz zu kurz

Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) plädierte in einer Stellungnahme dafür, „den Weg zur Stärkung der Tarifeinheit konsequent weiterzugehen“. Der Lokführerstreik zeige, „dass die gesetzliche Regelung der Tarifeinheit für den Verkehrssektor richtig und notwendig ist“, erklärte der DVF-Präsidiumsvorsitzende Ulrich Nußbaum. Die Branchengewerkschaften müssten mit dieser Verantwortung aus der Tarifautonomie angemessen umgehen „und dürfen Einzelinteressen nicht auf Kosten von Millionen Bürgern und der Wirtschaft verfolgen“. Das DVF fordere Regelungen, die dafür sorgen, dass Tarifkonflikte bei kritischen Verkehrsinfrastrukturen künftig in geordneten Bahnen ausgetragen werden und dabei die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.
Der Luftverkehrsverband BDL kritisierte, der Gesetzentwurf greife in wesentlichen Bereichen des Luftverkehrs nicht. Anders als in vielen übrigen Wirtschaftsbereichen konkurrieren im Luftverkehr selten mehrere Einzelgewerkschaften in einer Tarifauseinandersetzung. Aber ein Streik zum Beispiel bei den Fluglotsen, den Sicherheitskontrollen, Piloten oder Flugbegleitern legt in der Regel den gesamten Flugverkehr lahm. Das müsse das Gesetz berücksichtigen, forderte Verbandspräsident Klaus-Peter Siegloch. Um das Ziel des Gesetzes auch im Luftverkehr zu erreichen, sollten zusätzliche Verfahrensregeln ergänzt werden. Dazu gehörten:

  • eine unumgängliche Schlichtung, bevor über Streik entschieden wird
  • eine Ankündigungsfrist für Streiks
  • eine Vereinbarung zur Aufrechterhaltung einer Grundversorgung und
  • eine Urabstimmung.

(roe)

 

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