Meinung: Fratzscher bekommt verdienten grünen Gegenwind

Einen günstigeren Zeitpunkt hätten die acht grünen Verkehrspolitiker für die Vorlage ihres Positionspapiers zur Straßeninfrastrukturpolitik nicht wählen können: Es liest sich streckenweise wie ein Gegenentwurf zum Konzept der beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelten Fratzscher-Kommission, das ebenfalls vor einigen Tagen durchgesickert sind. Im Zusammenspiel machen die beiden Papiere Hoffnung, dass die dahindümpelnde Diskussion über eine grundlegende Neusortierung der deutschen Verkehrsinfrastrukturpolitik endlich Fahrt aufnimmt.

Einigkeit zwischen beiden Konzepten besteht nur einem Punkt: An die Stelle der Auftragsverwaltung der Länder sollte möglichst bald eine Bundesfernstraßengesellschaft treten. Doch ansonsten unterscheiden sich die beiden Ansätze diametral. Während die Fratzscher-Kommission darauf aus ist, privates Kapital in die (Straßen-) Infrastruktur hineinzuholen, suchen die Grünen einen Weg, die staatliche Verwaltung auf neue Fundamente zu stellen. Als die drei Grundprobleme identifizieren sie:

  • Die kameralistische Haushaltsführung, die die Entwicklung des Anlagevermögens ausblendet und Lebenszykluskosten außer Betracht lässt;
  • die „organisierte Verantwortungslosigkeit“ der heutigen Auftragsverwaltung durch die Länder – diejenigen, die Fernstraßen planen, bauen und verwalten, müssen sie nicht finanzieren;
  • die weitere Zersplitterung von Zuständigkeiten auf VIFG, Deges und Toll Collect.

Als Lösung schlagen die Grünen eine privatwirtschaftlich organisierte, aber dauerhaft staatseigene Bundesfernstraßengesellschaft vor. In ihr gehen auch VIFG, Deges und die verstaatlichte Toll Collect auf. Kernauftrag sollen Betrieb, Erhalt und Sanierung der Bestandsinfrastruktur sein. Diesen soll die neue Gesellschaft in eigener Verantwortung erfüllen und regelmäßig darüber in Form eines Zustandsberichtes und einer kaufmännischen Bilanz Rechenschaft ablegen. Mit der klaren Trennung des Erhalts von Neu- und Ausbau orientieren sich die Grünen an den Empfehlungen der Bodewig-Kommission, die damit dem politisch attraktiven Verschieben von Erhaltungsmitteln in den Neu- und Ausbau vorbeugen wollte.

Grüne für Kreditfähigkeit – aber als Teil des Staates

Sollte die neue Gesellschaft eine Zwischenfinanzierung benötigen, ist sie nach den Vorstellung der Grünen über die Bundesfinanzagentur zu den Konditionen des Bundes zu beschaffen. Ausdrücklich wird verlangt, den Missbrauch der neuen Gesellschaft als Schattenhaushalt unter dem Radar der Maastricht-Kriterien per Grundgesetz zu verhindern. Aus dem gleichen Grund lehnen die Grünen weitere ÖPP als verdeckte Verschuldung ab.

Darin unterscheiden sich die grünen Vorschläge klar vom Fratzscher-Konzept: Fratzscher will privates Kapital nicht nur über Anleihen und ÖPP einbinden, sondern bringt sogar die Option einer privaten Minderheitsbeteiligung an der neuen Gesellschaft ins Spiel. Das würde die „Verprivatwirtschaftlichung“ de facto unumkehrbar machen und Versuche politischer Einflussnahme massiv erschweren. Umgekehrt besteht aber die Gefahr, dass der private Miteigentümer eine kurzfristige Gewinnoptimierung durchsetzt: Das Beispiel der Berliner Wasserbetriebe zeigt eindrucksvoll, dass auch eine „Minderheitsbeteiligung“ genügend Erpressungspotenzial zugunsten des Privaten in sich birgt. Ob das „gut“ oder „schlecht“ ist, muss die Politik entscheiden – sie sollte sich nur vorher über die Konsequenzen im Klaren sein.

Mauteinnahmen sollen aufgesplittet werden

Diffus bleiben die Vorstellungen der Grünen bei der Nutzerfinanzierung. Geschlossene verkehrsträgerbezogene Finanzierungskreisläufe lehnen sie ab, damit die Straße als umweltschädlichster Verkehrsträger nicht auch noch finanziell bevorzugt wird. „Gleichzeitig verlangen Nutzer zu Recht, dass ihre Entgelte auch zum Erhalt des jeweils genutzten Verkehrsträgers eingesetzt werden“, heißt es jedoch nur zwei Zeilen später. Die Lösung sehen sie darin, dass die für den Erhalt notwendigen Mauteinnahmen in der Gesellschaft verbleiben. Dass die Definition dessen, was „notwendig“ ist, eine Herausforderung sein wird, ist den Grünen klar. Die übrigen Mauteinnahmen sollen allen Verkehrsträgern zugute kommen.

Eine Vorreiterrolle nehmen die Grünen bei der Frage nach den Mauteinnahmen aus der Anlastung externer Kosten ein. Anders als das BMVI wollen sie mit diesem Geld nicht Einnahmelücken stopfen, sondern sie „verkehrsträgerübergreifend zur Ökologisierung des Verkehrs“ einsetzen.

Nationales Fernstraßennetz definieren

Viel Raum widmen die Grünen der Entflechtung gesamtstaatlicher und regionaler Interessen: Sie wollen die nur regional bedeutsamen Bundes“fern“straßen den Ländern gegen entsprechende Ablösebeträge für den aufgelaufenen Erhaltungsaufwand abtreten. Dann könne sich der Bund auf die gesamtstaatlich relevanten Straßen konzentrieren. Aus dem Bundesverkehrswegeplan soll ein Bundesnetzplan werden, der „für alle Verkehrsträger das notwendige Fernverkehrsnetz zur Einbindung Deutschlands in das europäische TEN-Kernnetz“ festlegt. Er soll statt im bisherigen Bottom-Up-Wunschlistenverfahren „zentral vom Bund in einem offenen Konsultationsverfahren erarbeitet werden (top-down-Prinzip)“. Diese Möglichkeit hat zwar auch schon die Grundkonzeption für den BVWP 2015 eröffnet, zum Tragen gekommen ist sie aber praktisch nicht. Grundsätzlich soll der Bundestag weiter über Neu- und Ausbauvorhaben politisch beschließen; umgesetzt werden die Projekte aber ebenfalls von der Bundesfernstraßengesellschaft.

Ein Ball, der ins Feld der Grünen zurückkullert, ist der Wunsch, „übertriebene Ausbaustandards“ vor allem im Straßenbau „zugunsten kostengünstigerer Lösungen abzusenken und an die jeweiligen Erfordernisse anpassen“: Es macht keinen großen Unterschied, wenn eine vierspurige Autobahn nur 28m statt 31m breit wird. Es würde aber einen Unterschied machen, wenn Krötentunnel, Grünbrücken und Fledermausleitwälle wegfallen. (roe)

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