MEINUNG: Groschek und Hermann gehen auf den Bund zu

„Im Grundsatz“ – das ist die Zauberformel, mit der im Verwaltungsdeutsch unverrückbare Positionen aufgeweicht und geräumt werden. Michael Groschek und Winfried Hermann haben das gewusst, als sie in ihr am Dienstag veröffentlichten Strategiepapier zur Verkehrsinfrastrukturpolitik hineinschrieben: „Wir halten die föderale Struktur und Kompetenzverteilung im Grundsatz für richtig.“ Was folgt, ist nämlich – nach einem Lippenbekenntnis zur Stärkung der Länderverwaltung – nicht weniger als ein Signal der Bereitschaft, die Auftragsverwaltung grundsätzlich zu reformieren. Warum soll der Bund über Ortsumgehungen mit vorwiegend regionaler Bedeutung entscheiden? „Das überfordert nicht nur die Abgeordneten, sondern verleitet zum Geschacher um ein möglichst großes Stück vom Kuchen für den eigenen Wahlkreis und so zu verkehrsfachlich mitunter kontraproduktiven Projektauswahlentscheidungen“, schreiben Groschek und Hermann. Baden-Württemberg zum Beispiel hatte für den BVWP 2015 eine priorisierte Projektliste gemeldet, muss jetzt aber auf Geheiß des Bundes Projekte nachmelden – warum, ist nicht wirklich klar. Daher gehen Groscheks und Hermanns Überlegungen in die gleiche Richtung wie die von Bundesverkehrs- und Bundesfinanzministerium: Abgabe der Bundesstraßen an die Länder gegen entsprechende finanzielle Kompensation.

Zwei Wege zur Finanzkompensation

Der finanzielle Ausgleich ist in der Tat der Knackpunkt der laufenden Diskussion. In einem Föderalstaat der reinen Lehre würde der Bund gleichzeitig mit der Abgabe der Bundesstraßen seine Steuern senken und es den Ländern überlassen, ihre Steuern so zu erhöhen, wie sie es für nötig halten, um ihre hinzugewonnenen Straßen zu finanzieren. In Deutschland funktioniert dieses Modell nicht: Erstens ist die Wirtschaftskraft und damit die steuerliche Belastbarkeit von Bürgern und Wirtschaft in den Länder sehr unterschiedlich. Zweitens besteht der grundgesetzliche Anspruch auf „gleichwertige Lebensverhältnisse“, was zum Beispiel mit unterschiedlichen Einkommens- oder Umsatzsteuersätzen nur schwer vereinbar wäre. Drittens besteht die Gefahr, dass „arme“ Länder in eine Abwärtsspirale geraten, wenn sie ihre Straßen nicht mehr erhalten können.

Damit ist vorprogrammiert, dass die finanzielle Kompensation in irgendeiner Form vom Bund kommen oder zumindest gesteuert werden muss. Allerdings hat der Bund hier in der Vergangenheit viel verbrannte Erde hinterlassen: Es begann bei der Lkw-Mautlüge, als die Einnahmen verabredungswidrig genutzt wurden, um Steuermittel zu ersetzen, und endet aktuell beim Streit um die Regionalisierungsmittel für den SPNV, wo der Bund die Vorgabe des Grundgesetzes zu einer auskömmlichen Finanzierung einseitig zu seinen Gunsten auslegt. Es ist daher verständlich, wenn Groschek und Hermann schreiben: „Solange diese überfälligen Finanzierungsfragen nicht grundlegend und dauerhaft zwischen Bund, Ländern und Kommunen gelöst sind, bleiben alle anderen Reformdebatten und Vorschläge unpassend und für die Länder inakzeptabel.“

Das hört sich auf den ersten Blick nach einem kategorischen „Nein“ an, ist aber nach Abzug des ritualisierten Backenaufblasfaktors ein Verhandlungsangebot an den Bund. Wie könnte also eine Lösung aussehen?

Horizontaler Finanzausgleich ist unrealistisch

Die systematisch sauberste Lösung wäre – wie oben schon erwähnt -, wenn der Bund seine Steuer- und Abgabenlast herunterfährt und so für die Länder Spielraum schafft, eine eigene Einnahmebasis zu errichten. Um dem Grundgesetz Genüge zu tun, müssten sich die Ländern untereinander auf einen Finanzausgleich verständigen. Wie realistisch das ist, darf sich jeder selbst ausmalen. Das Gezacker um den „Kieler Schlüssel“ steht als mahnendes Beispiel im Raum.

Mittlerfunktion des Bundes hat Tücken

Realistischer dürfte eine Lösung sein, die den Bund als Geldgeber einplant – frei nach dem Motto „Wenn 16 sich streiten, freut sich der Bund“. Bund wie auch Länder wären aber gut beraten, aus dem Desaster um Regionalisierungs-, GVFG- und Entflechtungsmittel zu lernen: Falls der Bund die Finanzierung der Ex-Bundesstraßen dauerhaft übernehmen soll, ist zu empfehlen, keine vagen Rechtsbegriffe wie „ausreichende Versorgung der Bevölkerung“ als Bemessungsgrundlage zu verwenden, sondern die Summe an einen Preisindex zu binden. Abzuraten ist auch von fixen Terminen für eine Revision der Mittelhöhe. Das hat weder bei GVFG- und Entflechtungsmitteln noch bei den Regionalisierungsmitteln funktioniert. Falls sich der Bund mittel- oder langfristig aus der Aufgabe zurückziehen will – vielleicht mit Blick auf die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle alten und neuen Landesstraßen? -, sollte von Anfang ein Finanzpfad für das „Ausschleichen“ der Mittel festgelegt werden.

Mit ihrem Strategiepapier haben Groschek und Hermann einen großen Aufschlag gewagt. Der Bund sollte das Gesprächsangebot annnehmen. Ob die Profiteure des bisherigen Systems – namentlich die fleißigen Münchner Schubladenprojektplaner – mitziehen, ist fraglich. Aber Groschek und Hermann sind in der derzeitigen Zusammensetzung der Verkehrsministerkonferenz die zwei einzigen Ressortschef, die das Wort „Verkehr“ in ihrer Ressortbezeichnung als Kernaufgabe wahrnehmen. Das verleiht ihrer Stellungnahme Gewicht. Die Aussichten sind gut, dass ihnen all jene Länderkollegen folgen, denen in der Auftragsverwaltung ebenfalls das Wasser bis zum Hals steht. Im Grundsatz jedenfalls – bis es konkret um das Geld geht. (roe)

Schreibe einen Kommentar