Grüne und Autoindustrie werben gegenseitig um Verständnis

  • Hofreiter und Özdemir mahnen eigene Reihen zu Realismus
  • „Falsche Freunde“ der Autoindustrie
  • Industrie mahnt Hilfe bei Ladeinfrastruktur an
  • Opel gegen Daimler
  • Anerkennung von Volkswagen für Tesla

Die Kommunen werden nach der Aktualisierung des „Handbuchs Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs“ (HBEFA) ihre Luftreinhaltepläne neu rechnen müssen, und auch die Gerichte werden bei ihren Entscheidungen über Fahrverbote die neuen HBEFA-Werte berücksichtigen müssen. Diese Einschätzung äußerte Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegenüber dem Verkehrsbrief am Rande des Grünen-Autogipfels am Mittwoch in Berlin. „Die gesamte bisherige Argumentation bricht in sich zusammen“, sagte er mit Blick auf die am Dienstag veröffentlichten UBA-Messungen (siehe auch „Aufgefischt 26.4.2017“), wonach der Stickoxid-Vorteil von Euro-6-Diesel-Pkw gegenüber Euro 5 in der Realität wesentlich geringer ausfällt als bisher angenommen.

Hofreiter und Özdemir mahnen eigene Reihen zu Realismus

Der erstmals veranstaltete Autogipfel hatte sichtlich zum Ziel, das gegenseitige Verständnis von Grünen und Autobranche zu fördern, auch wenn eine Verständigung angesichts vieler gegensätzlicher Positionen nicht erreichbar ist. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir warnten ihre Partei vor der Illusion, der Umweltverbund könne den Autoverkehr komplett ersetzen. Schon eine Verlagerung von 5 Prozent des Autoverkehrs würde die Schiene hoffnungslos überlasten, machte Hofreiter deutlich.

Beide äußerten den Hoffnung, dass der Abgasskandal als heilsamer Schock wirkt, um die Autoindustrie zukunftsfähig aufzustellen und sie als starken Industriezweig in Deutschland zu halten.

„Falsche Freunde“ der Autoindustrie

Özdemir und andere grüne Redner warnten die Autoindustrie davor, sich auf „falsche Freunde“ in den anderen Parteien zu verlassen, die ihnen die Illusion gewährten, alles könne so weitergehen wie bisher. Sie spielten unter anderem auf das erfolgreiche Lobbying für weichgespülte Abgasgrenzwerte ein. Ziel der Grünen sei es, ab 2030 keine fossilen Verbrenner mehr auf die Straße zu bringen. Özdemir verwies auf die vier großen Stromkonzerne, die sich unter Schwarz-Gelb wieder zurückgelehnt haben, nun aber in desolatem Zustand seien, weil sie die Entwicklung des Marktes verschlafen haben.

Industrie mahnt Hilfe bei Ladeinfrastruktur an

Wilko Stark von Daimler wie auch Benjamin Sokolowski von Opel vermieden das Thema Abgasskandal, machten aber deutlich, dass die Autoindustrie selbst hohe Anstrengungen unternehme, zukunftsfähig zu werden. Stark erläuterte die Strategie, mit den vier Säulen Konnektivität, autonomem Fahren, Shared Mobility und Elektromobilität zum umfassenden Mobilitätsanbieter zu werden. Daimler werde außerdem eine „Geofencing“-Funktion einführen, mit der sich sicherstellen lässt, dass Plug-In-Hybride in den Innenstädten nicht im Verbrennermodus betrieben werden können. Die Reichweiten erlaubten das jetzt.

Sokolowski verwies auf den neuen Opel Ampera, der mit einer praxistauglichen Reichweite aufwarte und von Grund auf als E-Auto konstruiert worden sei.

Hilfe von der Politik mahnte Stark beim Aufbau der Ladeinfrastruktur an. Es gehe nicht nur um den Aufbau öffentlicher Ladesäulen, sondern auch um rechtliche Erleichterungen für den Aufbau privater Ladestruktur, zum Beispiel in Tiefgaragen von Mehrfamilienhäusern.

Opel gegen Daimler

Eine Kontroverse gab es über die E-Auto-Kaufprämie und ihre Finanzierung. Der Grünen-Verkehrsexperte Stephan Kühn bemängelte zum einen, dass spritschluckende schwere Plug-In-Hybride im Vergleich zu echten Elektrofahrzeugen viel zu hoch gefördert werden. Zum kritisierte er die Steuerfinanzierung und sprach sich erneut für ein Bonus-Malus-System aus, bei dem für Spritschlucker (über dem EU-Grenzwert von 120g CO2/km) eine zusätzliche Abgabe anfällt, mit der dann emissionsarme Fahrzeuge gefördert werden.

Unterstützung bekam er erstaunlicherweise von Stark, der allerdings lange Übergangsfristen forderte. Opel-Vertreter Sokolowski hingegen lehnte das Bonus-Malus-System ab, nannte aber keine Begründung.

Anerkennung von Volkswagen für Tesla

Thomas Steg von Volkswagen räumte ein, dass der deutschen Autoindustrie beim der Einführung von E-Autos mehreren Fehleinschätzungen unterlegen sei. Man habe gedacht, am besten mit kleinen Autos zu können. Ein E-Golf für 50.000 Euro sei aber nicht marktgängig. Teslas Ansatz, in der Oberklasse anzufangen, sei besser. Außerdem habe es die Industrie weitgehend versäumt, den Pilotkunden einer neuen Technik auch eine ausgefallenere Optik und Haptik zu bieten. Das werde sich ändern, versprach Steg. (roe)

Externer Link: „Clean Car Roadmap“ der Grünen-Bundestagsfraktion